Neue Grundeinsichten

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Prof. Bleyhl hält, gestützt auf die neueren Kognitions- und Neurowissenschaften, die Anerkennung folgender Grundeinsichten für unverzichtbar:

♦ Verstehen geht im Erstsprachenerwerb dem eigenen Sprechen fünf bis sieben Monate voraus. Diese Zeitspanne kann beim Zweitsprachenerwerb kürzer ausfallen, ist aber unverzichtbar.

♦ Lebende Sprache ist ein Geschehen auf mehreren Ebenen, in mehreren Dimensionen. Sie bildet ein lebendiges Ganzes. Die Isolierung von sprachlichen Einzelphänomenen im Unterricht ist fragwürdig.

♦ Bewusstmachung ist beim Erlernen einer Sprache kaum eine Hilfe, da die Verarbeitung von Sprache aufgrund der begrenzten kognitiven Leistungsfähigkeit unseres Gehirns zum Großteil nur unbewusst erfolgen kann. Daher kann der Lerner sich auch nicht gleichzeitig bewusst auf sprachlichen Inhalt und auf die korrekte sprachliche Form konzentrieren. 

♦ Das menschliche Gehirn kann für den Spracherwerb wesentlich mehr leisten, als ihm die Didaktiker zutrauen, es braucht dafür jedoch Zeit, um die erstrebten mentalen Strukturen wachsen zu lassen. Dabei beginnt der Lerner mit den Informationseinheiten, die er gerade verarbeiten kann, und lernt in seinem individuellen Tempo dazu.

♦ Der Grammatikerwerb unterliegt Gesetzmäßigkeiten, die durch Unterricht nicht verändert werden können. Er erfolgt in einer festgelegten Abfolge von Phasen, in individueller Geschwindigkeit.

♦ Aus diesen Gesetzmäßigkeiten lässt sich keine grammatische Progression ableiten, weil der Lerner die Leistung einer grammatischen Struktur nur im Kontrast zu parallel wahrgenommenen anderen Strukturen erfahren kann. Es ist also notwendig, ihm ein ganzheitliches, nicht banales oder triviales Sprachangebot zu machen, aus dem er sich holt, was er jeweils versteht und braucht. Das Lernen muss von inhaltlichem Interesse geleitet sein.

♦ Der Erwerb grammatischer Strukturen setzt erst ab einem Wortschatz von 400 bis 500 lexikalischen Einheiten ein.

"Damit ergibt sich, dass Sprachenlernen nicht durch das Pauken von Grammatikregeln und von Listen leerer Vokabelhülsen erreicht wird, sondern durch den Aufbau mentaler Begriffe, wie sie die jeweiligen Sprachgemeinschaften im Laufe ihrer Geschichte entwickelt haben, und in sozialen Situationen, bei denen Sprache das Verhalten der Beteiligten koordiniert."1)


Der notwendige Paradigmenwechsel im Fremdsprachenunterricht

Die Fremdsprachendidaktik muss über die oben genannten Einsichten hinaus anerkennen, dass Neugier, Spiel und Lernen biologisch gesehen "ein charakteristisches Bündel" bilden. Damit sie aktiviert werden können, bedarf es allerdings der Voraussetzung eines "entspannten Feldes, das sowohl Anregung als auch Sicherheit bietet". Dies schließt ein, dass "individuelle Unterschiede in der Lerngeschwindigkeit und in der Höhe des letztlich erreichten Niveaus" akzeptiert werden und das Selbstbewusstsein der Lerner durch die oftmals subtilen Kränkungen in Form von ständigen Korrekturen und Wertungen  nicht untergraben werden darf.

Der Fremdsprachenunterricht muss inhaltsorientiert sein: "Wie die Praxis zeigt, wird unter schulischen Bedingungen Sprache am effektivsten dort gelernt, wo gemeinsam um Sachverhalte gerungen wird." Empirische Untersuchungen zeigen, dass bei den ersten 50 Wörtern, die ein Kind lernt, die sozial-persönlichen Wörter dominieren. "Das heißt, der Lerner muss sich erst der Zuverlässigkeit der persönlichen Beziehungen zu den ihn umgebenden Experten sicher sein, ehe er sich weiter in die Welt hinaus wagen kann (...)". Er muss die Erfahrung der Funktionalität, des Sinns von Sprache in der konkreten Kommunikation machen und sich zugleich menschlich angenommen fühlen können. Er soll erleben, dass der Lehrer die Inhalte, "die die Aufmerksamkeit des Lerners auf sich gezogen haben, in der Interaktion berücksichtigt (und nicht eben einem von außen vorgegebenen Lehrplan bzw. abstrakten Curriculum folgt)."


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1) Alle Zitate aus dem angegebenen Aufsatz von Prof. Werner Bleyhl


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