Rudolf Steiner: Sprachunterricht an Waldorfschulen

Vorbemerkung

Da ich an dieser Stelle sehr guten vorhandenen Büchern kein neues hinzufügen möchte, mich auch nicht für befähigt dazu halte, bitte ich um Verständnis für meine zwangsläufig verkürzende Darstellung.


Grundlagen

Zurückgehend auf Rudolf Steiner begreift Peter Lutzker1) den Spracherwerb als Sinnesprozess und damit als Teil der gesamten sinnlichen Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt. Dabei sind aus den von Steiner postulierten 12 Sinnen die vier sog. „oberen Sinne“ oder Erkenntnissinne entscheidend für jegliche Form sozialer und kommunikativer Interaktion:


♦   der Hör-Sinn

♦   der Sprach-Sinn, der uns die Worte der Mitmenschen wahrnehmen lässt

♦   der Gedanken-Sinn, der uns die Gedanken der anderen wahrnehmen lässt

♦   der Ich-Sinn, der die Wahrnehmung des Gegenübers ermöglicht.


Indem diese menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten als physiologische bzw. psychologische Sinne begriffen werden, unterstreicht Steiner zugleich ihren objektiven Charakter; erst die anschließende Interpretation dieser Wahrnehmungen durch das Individuum macht diese zu subjektiven Urteilen.

Wir erkennen also mit diesen oberen Sinnen „den ich-begabten, denkenden, sprechenden und singenden Mitmenschen“ (Michael Steinke). Mindestens zwei dieser Sinne müssen jedoch jeweils zusammenwirken, um eine bewusste Sinneswahrnehmung zu erhalten. 

So wird deutlich, warum für Steiner neben dem gesprochenen Wort Satzmelodie, Gesichtsausdruck, Gestik, Körperhaltung und -bewegung den ihnen zukommenden Stellenwert beim Spracherwerb erhalten müssen. Sprache ist grundsätzlich als ein lebendiges Ganzes anzusehen und muss als solches auch vom lernenden Menschen sinnlich wahrgenommen werden können. Sie kann nicht beliebig in ihre Einzelteile auseinandergenommen und in einer scheinbar logischen und aufeinander aufbauenden Abfolge solcher Einzelteile gelernt werden.

Heute hat die linguistische und neurobiologische Forschung bestätigt, dass die Auffassung, Sprache bestehe überwiegend nur aus semantischen Einheiten und grammatischen Gesetzmäßigkeiten, nicht haltbar ist. Von während eines Gesprächs vermittelten 2500 bis 10.000 Informationseinheiten („bits“) pro Sekunde hat nur ein Bruchteil mit der Bedeutungsebene der Wörter zu tun. Die wichtigste Rolle kommt jenen unbewussten Körperbewegungen zu, die wir während des Sprechens und Hörens vollführen, sowie den unzähligen Feinheiten von Klang, Stimmmodulation und Register. Lutzker erinnert daran, dass der menschliche Körper pro Sekunde zu Tausenden winziger Positionsänderungen in der Lage ist. Offenbar habe der Mensch ein angeborenes Programm zum Erwerb dieser kinetischen und akustischen Muster, so dass ein Neugeborener sie innerhalb von zwei Jahren in kultureller und individueller Variation angenommen hat.

„Hence, it besomes understandable why, for example, students who in the course of years learn very little in language lessons, are capable of making remarkable progress in short time while living in a foreign country. Living in the country, communicating with people, this reduction of language which occurs in lessons, is fortunately not possible and thus the unique and inate human capabilitiy of perceiving and acquiring language as a whole takes over.“ (Lutzker, Anm. 1, S. 42)





1) Peter Lutzker: Sensory Processes and Foreign Language Learning (siehe Ressourcen)




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